VG Bremen zur Herzmuskelentzündung einer Polizistin in Elternzeit

VG Bremen zur Herzmuskelentzündung einer Polizistin in Elternzeit

Kann die COVID-19-Impfung einen Dienstunfall darstellen?

Seit sich die „Normalität“ nach und nach wieder eingestellt hat, verblassen die Erinnerungen an die Pandemiezeit bei den meisten von uns kontinuierlich. Bei denjenigen, die damals oder bis heute noch mit entsprechenden gesundheitlichen Komplikationen wie einer Impfreaktion oder Long-Covid zu kämpfen haben, mag dies wohl leider nicht der Fall sein. Zusätzlich belastend für die Betroffenen ist zudem oftmals die Anerkennung ihrer Leiden. Genau zu dieser Gruppe gehört auch eine Polizistin aus Bremen, die sich alle Details ihrer Herzmuskelentzündung im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ins Gedächtnis rufen musste. Vor dem VG Bremen kämpfte sie um die Anerkennung als Dienstunfall eben dieser Impfreaktion – mit Erfolg?

Sachverhalt

Die Polizeibeamtin, die sich zwischen August 2020 und November 2021 in Elternzeit befand, erhielt im März 2021 nach Abfrage ihrer Impfbereitschaft von der Polizei Bremen einen persönlichen Zugangscode für die Anmeldung zu einer COVID-19-Impfung. Wenige Tage später wurde die Beamtin über neue Impftermine für die Polizei informiert, wobei in diesem Zuge darauf hingewiesen wurde, dass die Impfung zur Dienstzeit zähle.

Im Anschluss erreichte sie über das Intranet ein von der Koordinierungsstelle zur Corona-Lage der Polizei Bremen veröffentlichtes Mitteilungsblatt mit dem Titel „Impfschaden = Dienstunfall?“. Darin wurden kurzfristige Nebenwirkungen von schweren, längerfristigen Körperschäden abgegrenzt, wobei nur letztere die Voraussetzungen eines Dienstunfalles erfüllen würden. Ferner informierte die Mitteilung darüber, dass die Verfasser die Impfung nach dem Bremischen Beamtenversorgungsgesetz als dienstliche Veranstaltung einstufen, weil die freiwillige Impfung im Rahmen der Dienstzeit stattfinde, von der Polizei Bremen organisiert werde und schließlich ausdrücklich vom Dienstherrn begrüßt werde.

Nachdem die Polizeibeamtin Ende Mai 2021 im Impfzentrum Bremen ihre zweite COVID-19-Impfung erhalten hatte, plagte sie einige Tage später ein unbehagliches Gefühl im Brustkorb. Sie rief den Rettungswagen und musste sich einer stationären Behandlung auf der Intensivstation unterziehen. Die Ärzte diagnostizierten ihr eine Herzmuskelentzündung und Herzrhythmusstörungen, die durch die COVID-19-Impfung verursacht wurden.

Den Vorfall führte sie in ihrer Unfallmeldung aus und begehrte die Anerkennung ihres Impfschadens als Dienstunfall, um sich die Ansprüche aus § 33 II dem Bremischen Beamtenversorgungsgesetz (BremBeamtVG) auf Heilverfahren und Versorgung gegen ihren Dienstherrn zu sichern, § 33 BremBeamtVG. Sie argumentierte, es habe trotz ihrer Elternzeit ein dienstliches Interesse an der Impfung bestanden, um bei ihrer Rückkehr mit vollem Impfschutz in den Dienst zu starten.

Die relevanten Normen aus dem BremBeamtVG in der vom 01.01.2021 bis 17.11.2021 geltenden und damit für diesen Fall maßgeblichen Fassung befinden sich in §§ 34 I und 51 III BremBeamtVG. Ähnliche Regelungen sind für Bundesbeamte im BeamtVG sowie in den BeamtVG der übrigen Bundesländer zu finden.

§ 34 Dienstunfall

(1) Dienstunfall ist ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Zum Dienst gehören auch

  1. Dienstreisen, Dienstgänge und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort,

  2. die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen und

  3. Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst oder in dem ihm gleichstehenden Dienst, zu deren Übernahme die Beamtin oder der Beamte gemäß § 71 des Bremischen Beamtengesetzes verpflichtet ist, oder Nebentätigkeiten, deren Wahrnehmung von ihr oder ihm im Zusammenhang mit den Dienstgeschäften erwartet wird, sofern die Beamtin oder der Beamte hierbei nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist (§ 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch).

[…]

§ 51 Meldung und Untersuchungsverfahren

[…]

(3) Die oder der Dienstvorgesetzte hat jeden Unfall, der ihr oder ihm von Amts wegen durch Meldung der Beteiligten bekannt wird, sofort zu untersuchen. Die oberste Dienstbehörde entscheidet, ob ein Dienstunfall vorliegt und ob die oder der Verletzte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Die Entscheidung ist der oder dem Verletzten oder ihren oder seinen Hinterbliebenen bekannt zugeben.

Ihr Antrag wurde mit der Argumentation, es handele sich nicht um eine dienstliche Veranstaltung, abgelehnt. Hiergegen erhob die Polizeibeamtin Widerspruch. Obacht! Widersprüche werden nach dem Wortlaut der §§ 69, 70 I 1 VwGO erhoben. Wer diese terminologische Feinheit einhält, macht sich selbst im Falle eines besonders spitzfindigen Prüfers nicht angreifbar. Die Beamtin berief sich zusätzlich auf die Mitteilung aus März 2021 und verwies darauf, dass die Impfung vom Dienstherrn nicht nur ausdrücklich begrüßt, sondern auch fortlaufend gesteuert, mitorganisiert und ausdrücklich empfohlen worden sei.

Die Sachbearbeiterin, die dieselbe Person ist, die bereits den Ausgangsbescheid bearbeitet hatte, ließ sich dennoch nicht erweichen: Im August erging der Widerspruchsbescheid. Darin ergänzte die Sachbearbeiterin die Argumentation um den Punkt, dass die Impfung in der Elternzeit mangels Dienstleistungspflicht und dementsprechend ohne Anspruch auf Besoldung nicht als Dienstunfall zu qualifizieren sei. Schließlich hätten hierfür weitere Gründe wie z.B. eine Impfnachweispflicht hinzutreten müssen, um dennoch eine Dienstbezogenheit begründen zu können.

Die Polizeibeamtin erhob schließlich Verpflichtungsklage auf Anerkennung ihrer Impfung als Dienstunfall vor dem VG Bremen. In ihrer Klageschrift äußerte sie Zweifel an der Zuständigkeit, da die „Personalunion“ der Sachbearbeiterin ihr seltsam vorkam. Die Bearbeitung von sowohl dem Ausgangsbescheid als auch dem Widerspruchsbescheid durch ein und dieselbe Person könne nach Ansicht der Klägerin einen Verstoß gegen § 73 VwGO darstellen.

Urteil des VG Bremen

Das Gericht stufte die zulässige Klage der Beamtin in seinem Urteil vom 05.02.2024 (Az. 7 K 1464/22) als begründet ein und verpflichtete die Beklagte nach § 113 V 1 VwGO zur Anerkennung der COVID-19-Impfung als Dienstunfall i.S.d. § 51 III BremBeamtVG.

Die 7. Kammer des VG Bremen widmete sich zunächst den Zuständigkeitsbedenken der Klägerin und stellte fest, dass der Widerspruchsbescheid nicht bereits deswegen als rechtswidrig einzustufen sei, weil er von derselben Sachbearbeiterin gefertigt worden sei wie auch der Ausgangsbescheid. Wenn auch „dieses Vorgehen dem Sinn und Zweck des Vorverfahrens, der betroffenen Person eine effektive Rechtsschutzmöglichkeit zu eröffnen, wenig dienlich zu sein“ erscheine, führe die Vorbefassung auch nicht zu einem Verstoß gegen § 20 I BremVwVfG oder § 21 I BremVwVfG. (Die genannten Normen befassen sich parallel zu den §§ 20 f. VwVfG mit dem Ausschluss von Personen und dem Besorgnis der Befangenheit.) Anders als Richter, die nach § 54 II, I VwGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung ihres Amtes ausgeschlossen sind, wenn sie in einem früheren Rechtszug bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt haben, existiere eine solche Vorschrift für Amtsträger im Rahmen des Vorverfahrens gerade nicht und sei verfassungsrechtlich auch nicht geboten.

Der wesentliche Schwerpunkt der Entscheidung liegt hier jedoch bei der Subsumtion des Falles unter den Dienstunfallbegriff nach § 34 I 1 BremBeamtVG. Über die Legaldefinition war die Lösung über den § 34 I 2 Nr. 2 BremBeamtVG zu entwickeln und führte hier über den unbestimmten Rechtsbegriff der dienstlichen Veranstaltung. Das Gericht definierte die dienstliche Veranstaltung nach dem BVerwG als kollektive – für alle Beamtinnen und Beamten des Dienstherrn oder einer Behörde oder für einen bestimmten Kreis von Bediensteten – geschaffene Maßnahmen oder Einrichtungen, wobei die Veranstaltung eine formelle und materielle Dienstbezogenheit aufzuweisen habe. Die Dienstbezogenheit, die nach den Umständen des Einzelfalles aus der objektiven Sicht der Polizeibeamtin zu ermitteln sei, läge vor, wenn eine Veranstaltung im Zusammenhang mit dem Dienst stehe, dienstliche Interessen diene und unmittelbar oder mittelbar mit von der Autorität des Dienstvorgesetzten getragen werde.

Das Gericht bezog sich hier auf das Mitteilungsblatt der Polizei Bremen, das seiner Ansicht nach so zu verstehen sei, dass die COVID-19-Impfung auch für die Klägerin schon formell als dienstliche Veranstaltung einbezogen werde. Dass die Veranstaltung selbst gänzlich in der Verantwortung des Dienstherrn liege, sei nicht erforderlich. Die Impfung außerhalb der Dienststelle im zentralen Impfzentrum Bremen, das grundsätzlich allen Bewohnern des Landes Bremen mit Terminvereinbarung offen stand, habe sich der Dienstvorgesetzte als fremde Veranstaltung viel mehr zu eigen gemacht.

Auch stehe die Freiwilligkeit der Impfung einer Einstufung als Dienstveranstaltung wie bei Betriebsausflügen und Weihnachtsfeiern nicht entgegen, zumal eine Anordnung der Teilnahme keine Voraussetzung sei.

Anders als die Beklagte sah das Gericht in dem Umstand, dass sich die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt in Elternzeit befand, keinen Ausschlussgrund. Denn selbst bei Ruhen der Hauptleistungspflichten aus dem Beamtenverhältnis könne ein Unfallereignis als Dienstunfall zu klassifizieren sei, wenn besondere, eine Dienstbezogenheit begründenden Umstände hinzutreten. Dies sei hier gegeben, da die Impfung der Klägerin sowohl subjektiv als auch objektiv im dienstlichen Interesse gelegen habe.

Dass die Impfung der Klägerin subjektiv und objektiv im dienstlichen Interesse gelegen habe, stütze die Kammer auf die absehbare Rückkehr der Klägerin in den Dienst, während das „Ende der Pandemie“ sich zum Zeitpunkt der Impfung noch nicht abgezeichnet habe. Ferner sei es der Polizistin darauf angekommen, bei Antritt des Dienstes den „vollen Impfschutz“ vorweisen zu können, um die damaligen Einschränkungen für nicht vollständig geimpfte Beamtinnen und Beamte zu umgehen. Die hinreichende Dringlichkeit der Impfung in der Elternzeit sei damit sichergestellt, da eine alternativ mögliche, erst nach Dienstantritt vorgenommene Impfung der Klägerin das krankheitsbedingte Ausfallrisiko im Dienst erhöht hätte.

Auch habe die Polizeibeamtin in Ausübung des Dienstes i.S.d. § 34 I 1 BremBeamtVG gehandelt, da die Impfung bei lebensnaher Betrachtung zusammen mit den dienstlichen Verrichtungen einheitlich dem Dienst zuzurechnen sei, auch wenn es sich dabei um eine Verrichtung handelt, die nicht spezifisch für den Polizeidienst sei.

Da die Voraussetzungen des Dienstunfalles somit vorlagen und dem Dienstherrn bei seiner Entscheidung nach § 51 III BremBeamtVG kein Ermessen zukommt, war die Klage aus der Sicht des Gerichts damit begründet.

Ausblick

Da werden mindestens vage Erinnerungen an die Rosinentheorie wach, doch auch das „Cherry Picking“ seitens einer Behörde wird schließlich im öffentlichen Recht nicht gern gesehen. Wer in der Vorbereitung auf das erste Examen, abgesehen von dem Problem mit der Außenwirkung von Maßnahmen gegenüber Beamten, kaum etwas von dem öffentlichen Dienstrecht gehört hat, sollte bei der Lektüre des Falles nicht in Panik geraten. In den wenigsten Bundesländern spielt dieses Rechtsgebiet eine wesentliche Rolle im Studium. Neben gut verpackter Sachkritik an der Art und Weise des durchgeführten Widerspruchsverfahrens enthält die Entscheidung des VG Bremen jedoch auch eine hinreichende Illustration dazu, warum das Beamtenrecht und im Speziellen der Dienstunfall als Star des öffentlichen Dienstrechts (in etwa vergleichbar mit der zentralen Rolle der Kündigungsschutzklage im Arbeitsrecht) im zweiten Staatsexamen so besonders relevant sind: Der Dienstunfall beziehungsweise die mit ihm Hand in Hand gehenden unbestimmten Rechtsbegriffe müssen umfassend ausgelegt werden. Da jede Einzelheit des Sachverhalts verwertet werden sollte, verbietet sich eine pauschale Lösung, sodass die Argumentationsfähigkeit der Kandidatinnen und Kandidaten optimal unter die Lupe genommen wird. Auch wenn das Thema besonders gern gesehener Gegenstand im Aktenvortrag ist, der bekanntlich erst ganz am Ende des Referendariats auf die Volljuristinnen und Volljuristen von morgen wartet, lohnt sich ein Blick in das jeweilige Beamtenversorgungsgesetz eures Bundeslandes – das erlangte Systemverständnis kann insbesondere im Umgang mit unbekannten Normen keineswegs schaden.