Examensreport: ÖR II 1. Examen April 2023 in Berlin

Examensreport: ÖR II 1. Examen April 2023 in Berlin

Sachverhalt beruht auf einem Gedächtnisprotokoll

Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist instabil. Viele Ereignisse in der Vergangenheit (insbesondere der Krieg in der Ukraine) haben den Finanzmarkt in Deutschland stark belastet. Die ohnehin sparsam lebenden Deutschen halten sich und ihre Ausgaben noch mehr zurück. Zahlreiche Betriebe haben enorme Umsatzeinbußen und müssen Insolvenz anmelden.

Infolgedessen werden über 10 Millionen Deutsche arbeitslos.
Die vergangenen Jahre waren vom stetigen Wirtschaftswachstum im europäischen Raum geprägt. Die jahrelange Nullzinspolitik der EZB erlaubte die Vergabe von unzähligen günstigen Krediten. Trotz der Wirtschaftskrise im Jahre 2008 blieb es bei der Vergabe dieser günstigen Kredite. Diese werden auch Firmen gewährt, die diese im Grunde nur bei fortlaufendem Wirtschaftswachstum wieder zurückzahlen können.

Die Inflation steigt weiterhin, sodass viele dieser Unternehmen ihre Kredite nicht zurückzahlen können und Insolvenz anmelden müssen. Viele Banken können die ohnehin zu knapp einkalkulierten Kreditausfälle nicht mehr ausgleichen und gehen ebenfalls insolvent.

Die B-AG ist die größte Bank Deutschlands mit 400 Filialen in der gesamten Bundesrepublik. Auch sie leidet erheblich unter der wirtschaftlichen Situation. Aus Angst um ihr Geld strömen die Kunden der B-AG zu den Geldautomaten, um ihr Erspartes zu sichern. Als größte Bank Deutschlands spielt die B-AG eine tragende Rolle für die wirtschaftliche Stabilität in Deutschland. Eine mögliche Insolvenz der Bank hätte enorme Auswirkungen.
Der Bundeskanzler K sieht sich gezwungen, zu handeln und drohende Wirtschaftskrise abzuwenden. Er beabsichtigt die B-AG zu vergesellschaftlichen und in eine Anstalt des Öffentlichen Rechts zu überführen, die dem Finanzministerium unterstellt sein soll. Hierzu soll erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Art. 15 GG angewandt werden. Die Norm hat eine Vorgängervorschrift aus der Weimarer Reichsverfassung.

        Art. 156 Weimarer Reichsverfassung

Das Reich kann durch Gesetz, unbeschadet der Entschädigung, in sinngemäßer Anwendung der für Enteignung geltenden Bestimmungen, für die Vergesellschaftung geeignete private wirtschaftliche Unternehmungen in Gemeineigentum überführen.

Das BVerfG hat sich bislang nur am Rande zu Art. 15 geäußert. In einem Urteil hieß es, dass Art. 15 GG einer Privatisierung von staatlichen Einrichtungen nicht entgegenstehe. In einem anderen Urteil hieß es, dass Art. 15 GG in Art. 14 GG eingreife und dieses beschränke.

Ob die vorgeschlagene Maßnahme des K tatsächlich zur Stabilität der wirtschaftlichen Situation beitragen würde, ist noch unklar. In jedem Falle aber würden die Bürger steuerlich erheblich belastet.

Das Bundesfinanzministerium unter der Ministerin F erarbeitet den Gesetzesentwurf des Gesetzes zur Stabilisierung des Finanzmarktes (FMStG). Die Mitarbeiter im Ministerium sind nicht begeistert von den Plänen des Bundeskanzlers, bedeutet dieses Vorhaben unter enormen Zeitdruck unter Aufwendung vieler Überstunden das Gesetz zu erarbeiten. Daher holt sich F Unterstützung von der Wirtschaftskanzlei L. Diese schätzt sie für ihre juristische Expertise. Die L war nie für die B-AG rechtsberatend tätig. Die L erhält vom Ministerium ein Eckpunktepapier mit den wesentlichen Regelungen des Gesetzes und arbeitet den Entwurf aus.

Der Entwurf wird durch die regierungstragenden Fraktionen in den Bundestag eingebracht. Nach der zweiten Lesung wird er verabschiedet. Der Bundesrat sieht davon ab, einen Vermittlungsausschuss anzurufen. Der Bundespräsident fertigt das Gesetz aus und verkündet es.

Sinngemäß steht im FMStG:

Die B-AG wird ins Staatseigentum überführt. Das Gesetz tritt am 28.04.2023 in Kraft.

Darüber hinaus enthält das FMStG Regelungen zur Entschädigung. Alle schuldrechtlichen Rechte und Pflichten gehen auf die neue Anstalt über. Die Angestellten der B-AG können als Beamten oder staatliche Angestellte in der neuen Anstalt beschäftigt bleiben. Die Staatskasse kommt für die Schulden der B-AG auf.

Die B-AG ist damit überhaupt nicht einverstanden und erhebt am 20.04.2023 Verfassungsbeschwerde beim BVerfG. Den Rechtsweg über die Fachgerichte ging die B-AG zuvor nicht. Die B-AG meint, in ihrem Recht auf Eigentum aus Art. 14 GG verletzt zu sein. Art. 15 GG sei schon gar nicht auf sie anwendbar, da von Banken keine Rede sei. Darüber hinaus sei das Gesetz ohnehin unverhältnismäßig. Schließlich sei nicht einmal klar, ob das Gesetz überhaupt zum gewünschten Ziel führe.

Der Bundesregierung hält an ihrem Vorhaben fest. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip sei im Rahmen des Art. 15 GG ohnehin nicht anwendbar. Das Grundgesetz habe sich nicht auf eine bestimmte Wirtschaftsform festgelegt. Daher müsse es allen Wirtschaftsformen gegenüber offen angewandt werden.

Aufgabe:

Prüfen Sie die Zulässigkeit und Begründetheit der Verfassungsbeschwerde der B-AG.

Bearbeitervermerk:

Bearbeitungszeitpunkt ist der 24.04.2023. Es ist nur eine Verletzung des Eigentumsrechts zu prüfen. Die Entschädigungsregelungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gesetz ist nicht auf Finanzverfassungsrecht zu überprüfen.