BGH zur Frage der Vollendung des Betruges bei erschlichenen Überweisungsträgern

A. Sachverhalt

Der Angeklagte (A) organisierte Verkaufsveranstaltungen in Form von sog. Kaffeefahrten, zu denen er überwiegend ältere Personen mit Einladungsschreiben anwarb, in denen Geldgeschenke oder Gewinnausschüttungen in Aussicht gestellt und kostenlose Mahlzeiten oder diverse Unterhaltungsprogramme angekündigt wurden. Nachdem sie sich angemeldet hatten, wurden die Teilnehmer am frühen Morgen des jeweiligen Veranstaltungstages mit dem Bus abgeholt und in Gruppen von bis zu etwa 50 Personen in die von A als Veranstaltungsort ausgewählten Gasthäuser gebracht. Dort erwartete sie eines der vier Verkaufsteams des A, die aus einem Verkaufsleiter und weiteren Mitarbeitern bestanden. Deren Aufgabe war es, in zumeist reißerischer Weise die von A für den Verkauf vorgesehenen Artikel zu bewerben und sie anschließend zu in der Regel überteuerten Preisen an die Anwesenden zu verkaufen.

A ließ dabei “Magnetfeldmatratzenauflagen” zum Preis von 899 € veräußern. Die Kunden mussten beim Erwerb für den Abschluss des Kaufvertrages, die Bestätigung des Erhalts der Ware, die Widerrufsbelehrung und die Einziehungsermächtigung insgesamt vier Unterschriften auf dem Kaufvertragsformular leisten. A hatte seine Mitarbeiter aber außerdem angewiesen, sich von jedem Kunden zusätzlich einen bereits vorbereiteten Überweisungsträger unterschreiben zu lassen, durch den die Kunden ihr Geldinstitut anwiesen, den Kaufpreis auf ein Konto des A zu überweisen. Die Verkaufsteams erklärten den Kunden, die Unterschrift auf dem Überweisungsträger sei zur Abwicklung des geschlossenen Kaufvertrages technisch notwendig; die Kunden glaubten aufgrund der Angaben der Mitarbeiter des A, sie berechtigten diesen zum einmaligen Einzug des Kaufpreises. Tatsächlich beabsichtigte A indes von Anfang an, die Überweisungsträger abredewidrig zu einem späteren Zeitpunkt einzusetzen, um sich den Kaufpreis ein weiteres Mal bezahlen zu lassen und sich so eine nicht nur vorübergehende, nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen.

Die Kaffeefahrten fanden von montags bis donnerstags statt, an den Freitagen bestellte A seine Verkaufsteams ein und rechnete mit ihnen ab; bei dieser Gelegenheit übergaben diese die Vertragsunterlagen und die unterschriebenen Überweisungsträger. Wenige Tage später ließ A mittels der Einziehungsermächtigungen die jeweiligen Kaufpreise von den Konten der Kunden abbuchen und vereinnahmte sie. In 38 Fällen wurden die Kaufverträge zwischen Februar 2010 und Februar 2011 geschlossen und die Kaufpreise in der beschriebenen Art zeitnah dazu vereinnahmt. In der Zeit von April bis Juli 2012 sandte A alsdann - wie von vornherein geplant - die ausgefüllten Überweisungsträger an die Geldinstitute der Kunden, die die Überweisungen ausführten und damit die jeweiligen Kaufpreise ein weiteres Mal an A überwiesen.

Strafbarkeit des A wegen Betruges gemäß § 263 StGB?

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 11.12.2013, Az. 3 StR 302/13)

Die Kunden des A wurden über die Notwendigkeit der Unterschriften getäuscht und unterlagen einem entsprechenden Irrtum. Fraglich ist indes, worin genau die Vermögensverfügung und der Vermögensschaden der Kunden zu sehen sind. Eine Vermögensverfügung ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, welches sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn das Vermögen nach der Verfügung geringer ist als zuvor, wobei eine Gesamtsaldierung aller sich unmittelbar aus der Vermögensverfügung ergebenden Zu- und Abflüsse vorzunehmen ist.

Um diese Fragen beurteilen zu können, muss man sich zunächst mit der zivilrechtlichen Einordnung einer Überweisung befassen:

Zwischen den Kunden des A und deren jeweiligen Banken besteht ein sog. Zahlungsdiensterahmenvertrag als Sonderform des Geschäftsbesorgungsvertrages (§ 675f II BGB) . Der auf der Grundlage dieses Rahmenvertrages erteilte Überweisungsauftrag stellt einen Zahlungsauftrag im Sinne von § 675f III 2 BGB dar. Dogmatisch handelt es sich dabei um eine Weisung (vgl. § 665 BGB), also eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die die Bank verpflichtet wird, den Überweisungsbetrag der Bank des Empfängers zur Gutschrift zur Verfügung zu stellen oder die Gutschrift auf dem Konto des Empfängers selbst vorzunehmen, sofern die Bank auch das Konto des Empfängers führt (sog. Hausüberweisung). Die Weisung ist bis zum Zugang (§ 130 BGB) bei der Bank widerruflich, danach unwiderruflich (§ 675p I BGB; vgl. auch § 130 I 2 BGB). Der Überweisende schuldet seiner Bank den für die Überweisung notwendigen Geldbetrag als Aufwendungsersatz (§§ 675c I, 670 BGB). Diesen Anspruch setzt die Bank durch die Belastungsbuchung auf dem Konto des Überweisenden durch. Erfolgt diese Belastungsbuchung bereits vor Eintritt des geschuldeten Erfolges, mag es sich dabei um die Durchsetzung eines Anspruchs auf Vorschuss handeln (§§ 675c I, 669 BGB)

Die (große) Strafkammer des Landgerichts hatte angenommen, dass ein relevanter Vermögensschaden der Kunden dadurch entstanden sei, dass die Kunden die Überweisungsträger ausgefüllt haben. Bereits in diesem Moment sei der Betrug vollendet worden, weil eine “schadensgleiche Vermögensgefährdung” aufseiten der Kunden vorgelegen habe. A habe nämlich ein weiteres urkundliches Mittel in der Hand gehabt, das es ihm ermöglicht habe, die Zahlung ein weiteres Mal zu veranlassen, ohne dass die Geschädigten darauf noch hätten Einfluss nehmen können.

Problematisch an dieser Ansicht ist bereits, dass § 263 StGB sich nicht mit einer Gefährdung des Vermögens zufriedengibt, sondern einen Schaden voraussetzt. Im Hinblick auf Art. 103 II GG begegnet eine zu weite Auslegung des Vermögensschadens Bedenken, weswegen das BVerfG in einer Entscheidung aus dem Jahre 2011 ausgeführt hat:

“Es ist jedenfalls grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar, bereits bei der konkreten Gefahr eines zukünftigen Verlusts einen gegenwärtigen Vermögensschaden anzunehmen. Die für den Straftatbestand der Untreue (§ 266 StGB) maßgeblichen Erwägungen (vgl. BVerfGE126, 170 (223 ff.)) gelten auch für Fallgestaltungen des Eingehungsbetrugs.

Allerdings darf auf diese Weise der Tatbestand des § 263 StGB nicht verfassungswidrig überdehnt werden (vgl. BVerfGE126, 170 (226 ff.)). Das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens begrenzt die Betrugsstrafbarkeit und kennzeichnet § 263 I StGB als Vermögens- und Erfolgsdelikt. Verlustwahrscheinlichkeiten dürfen daher nicht so diffus sein oder sich in so niedrigen Bereichen bewegen, dass der Eintritt eines realen Schadens ungewiss bleibt (vgl. BVerfGE126, 170 (229)). Die bloße Möglichkeit eines solchen Schadens genügt daher nicht. Zur Verhinderung der Tatbestandsüberdehnung muss, von einfach gelagerten und eindeutigen Fällen – etwa bei einem ohne Weiteres greifbaren Mindestschaden – abgesehen, der Vermögensschaden der Höhe nach beziffert und dies in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. BVerfGE126, 170 (211, 228 ff.)). Bestehen Unsicherheiten, so kann ein Mindestschaden im Wege einer tragfähigen Schätzung ermittelt werden (vgl. BVerfGE126, 170 (212, 229 f.)). Normative Gesichtspunkte können bei der Bewertung von Schäden eine Rolle spielen; sie dürfen die wirtschaftliche Betrachtung allerdings nicht überlagern oder verdrängen (vgl. BVerfGE126, 170 (212, 228).” (BVerfG Beschl. v. 7.12.2011, Az. 2 BvR 2500/09 u.a.)

Diesen Anforderungen wird die Argumentation der Strafkammer nicht gerecht, weswegen der BGH deren Sichtweise eine Absagte erteilt:

“Diese rechtliche Beurteilung begegnet durchgreifenden Bedenken, weil die Strafkammer dabei die - verfassungsrechtlich gebotene - Bezifferung und Darlegung eines Mindestschadens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09, 1857/10, BVerfGE 130, 1, 48 f.) nicht vorgenommen hat. Dies war auch mit Blick auf die Unwiderruflichkeit der Weisung nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Bezifferung des Schadens keiner näheren Darlegung bedurft hätte (vgl. zu sog. Evidenzfällen BVerfG aaO): Bei der Weisung handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung des Kontoinhabers an sein Geldinstitut (vgl. Palandt/Sprau, aaO, § 675f Rn. 17, § 665 Rn. 2). Wird diese - wie hier - in Abwesenheit des Erklärungsempfängers abgegeben, wird sie erst mit dem Zugang bei ihm wirksam (§ 130 I 1 BGB) und ist bis dahin frei widerruflich (vgl. § 130 I 2 BGB). Hatten damit aber die Geschädigten nach dem Unterschreiben der Überweisungsträger mehr als ein Jahr - teilweise auch mehr als zwei Jahre - Zeit und die Gelegenheit, ihre Weisung gegenüber ihrem jeweiligen Geldinstitut zu widerrufen, bevor die darin liegende Willenserklärung durch den vom Angeklagten bewirkten Zugang der Überweisungsträger wirksam wurde, erscheint es nicht gerechtfertigt, einen Vermögensgefährdungsschaden etwa in Höhe der später durch den Angeklagten vereinnahmten Beträge bereits in dem Zeitpunkt anzunehmen, in dem die Geschädigten die Überweisungsträger unterschrieben. Denn der Schaden sollte nach dem Tatplan des Angeklagten durch das Einreichen der Überweisungsträger erst wesentlich später verwirklicht werden und war wegen der Widerruflichkeit der Weisung durch die Geschädigten jederzeit abwendbar.”

Die Besonderheit liegt darin, dass - wie die zivilrechtliche Lage zeigt - nur das Zusammenwirken mehrerer Handlungen bzw. Ereignisse (Ausfüllen und Unterzeichnen des Überweisungsträgers; Abgabe in Richtung auf die Bank; Zugang bei der Bank; Durchsetzen des Aufwendungsersatzanspruchs durch die Bank) dazu führt, dass sich der Kontostand des Überweisenden verringert. Man spricht insoweit von einer sog. mehraktigen Verfügung. Nach Ansicht des BGH ist die maßgebliche Vermögensverfügung (erst) in der Übergabe der unterzeichneten Überweisungsträger durch A an die jeweilige Bank zu sehen, wobei A diese Überweisungsträger (= Weisung, also empfangsbedürftige Willenserklärung) als Bote den jeweiligen Banken überbrachte. Der Schaden soll in der “Auszahlung der angewiesenen Beträge” liegen, wobei dies im Hinblick auf die erörterte zivile Rechtslage jedenfalls ungenaue formuliert ist:

“Durch das Unterschreiben und die Übergabe der Überweisungsträger händigten die Geschädigten dem Angeklagten jeweils eine Weisung an ihr Geldinstitut aus, welche grundsätzlich eine Vermögensverfügung zu seinen Gunsten darstellte. Zu ihrer zivilrechtlichen Wirksamkeit bedurfte die Weisung - wie dargelegt - indes noch des Zugangs bei den Geldinstituten, den der Angeklagte nach Belieben herbeiführen konnte, nach seinem Tatplan aber erst etliche Zeit nach der Erlangung der Überweisungsträger herbeiführen wollte. Der effektive Verlust des von der Verfügung der Geschädigten betroffenen Vermögenswertes trat damit erst durch die von dem Angeklagten durchgeführte Übermittlung der Überweisungsträger an die Geldinstitute und die anschließende Ausführung des Zahlungsauftrags ein. Es handelte sich mithin um eine mehraktige Verfügung, an der mehrere Personen dergestalt beteiligt waren, dass erst die letzte Teilverfügung zur endgültigen Schädigung führte (vgl. zum Begriff LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 111, der insoweit auch von “gestreckten Verfügungen” spricht; S/S-Cramer/Perron, StGB, 28. Aufl., § 263 Rn. 62). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der herrschenden Auffassung im Schrifttum können solche mehraktigen Verfügungen zur Verwirklichung des Betrugstatbestandes ausreichen; insbesondere steht dem nicht notwendig entgegen, dass die Vermögensverfügung den Vermögensschaden unmittelbar herbeiführen muss (BGH, Urteil vom 20. Februar 1991 - 2 StR 421/90, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 29; S/S-Cramer/Perron aaO; NK-StGB-Kindhäuser, 4. Aufl., § 263 Rn. 202; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 263 Rn. 25; Matt/Renzikowski/Saliger, StGB, § 263 Rn. 123; s. auch OLG Köln, Urteil vom 3. April 1962 - Ss 62/62, JMBl. NW 1962, 176; kritisch LK/Tiedemann aaO). Dies wird insbesondere angenommen, wenn die Kette der Verfügungen zwingende oder wirtschaftliche Folge des durch Täuschung hervorgerufenen Irrtums und der Teilakt, der zum Vermögensverlust führt, dem Getäuschten zuzurechnen ist (BGH aaO; NK-StGB-Kindhäuser aaO; Lackner/Kühl aaO). So verhält es sich hier:

Die bei den Geldinstituten eingehenden Überweisungsträger waren Weisungen der Geschädigten und damit deren Vermögensverfügungen zugunsten des Angeklagten, nicht aber Verfügungen des Angeklagten, der - ohne nach außen in Erscheinung zu treten - lediglich den Zugang dieser Erklärungen bewirkte. Die Auszahlung der Überweisungsbeträge durch die Geldinstitute war auch die vom Angeklagten von vornherein bezweckte wirtschaftliche Folge des durch die Täuschung der Geschädigten hervorgerufenen Irrtums, die ausgefüllten und über seine Mitarbeiter dem Angeklagten überlassenen Überweisungsträger würden zur technischen Abwicklung der Kaufverträge benötigt. … Lag die endgültig zur Vermögensminderung führende Verfügung hier demgemäß erst mit dem Zugang der Überweisungsträger bei den Geldinstituten vor, besteht der Schaden in der Auszahlung der angewiesenen Beträge.”

C. Fazit

Eine äußerst lehrreiche Entscheidung, die wieder einmal zeigt, dass viele Fragen rund um den Betrugstatbestand nur mit soliden zivilrechtlichen Kenntnissen zu beantworten sind. Fälle wie der vorliegende, die teilrechtsgebietsübegreifende Kenntnisse erfordern, sind bei Prüfungsämtern besonders beliebt.

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